Die Begegnung

Es war ein sonniger Tag im Juni der Jahres 1990. Das Grün vor den Fenstern überdeckte ein bisschen den Schmutz der Straßen und die tristen grauen Wände des Institutsgebäudes. Jemand hatte die Fenster putzen lassen. Das fiel mir auf, denn die Sonne schien heller als sonst in den Hörsaal, in dem die Tagung beginnen sollte.
Wie in den Jahren zuvor tauchten alte Bekannte auf. Studien­freunde, die es in die Industrie und den Bergbau verschlagen hatte und die diese Tagung schon seit Jahren nutzten, um ihre Fäden zu einer vergangenen Zeit nicht völlig abreißen zu lassen. Die Hochschule bot dazu immer wieder einen gern genutzten Rahmen.
Einer, auf dessen Kommen ich mich freute, war Peter. Wir hatten vor fast 20 Jahren gemeinsam unser Studium begonnen. Ich hatte inzwischen promoviert, war wissen­schaftlich erfolgreich und dank der neuen Möglichkeiten hatte ich gerade die Aussicht, für ein Jahr an eine Universität in den USA zu wechseln. Peter kam aus dem Norden der Republik, die sich gerade auflöste. Von Karl, unserem gemeinsamen Freund wusste ich, dass er dort als Geologe in einem Kieswerk angestellt war.
Eigentlich hätte es viel zu erzählen gegeben. Die Wende hatte so vieles gewendet. Jetzt war erst einmal nur das große Begrüßen angesagt. Peter kam langsam die Stufen des Hörsaals hinunter. Seit unserem letzten Treffen waren schon einige Jahre vergangen. Wir schüttelten uns die Hände, schauten uns an und ich weiß noch, wie ich mich fragte, ob der Geruch, den ich wahrnahm und der mir wie Alkohol erschien, nicht doch auf ein neues Rasierwasser zurückzuführen sei.
Wir standen vor den engen alten Bänken und sahen viele neue Gesichter. An den Jacketts und Krawatten, konnte man erkennen, wer von wo gekommen war.
Plötzlich sahen wir ihn, den großen, elegant gekleideten Mann, der links oben in der Tür stand, aufrecht, selbstbewusst lächelnd. Er schüttelte einige Hände, sah sich um und genoss sichtlich die Atmosphäre.
Wir wussten, dass er kommen würde, es stand im kurzfristig überarbeiteten Tagungsprogramm. Professor W., der Direktor des Bundesinstitutes aus Westberlin, dessen Name mir noch sehr geläufig war, dessen Gesicht ich noch gut kannte. Er war er wieder da.
Ich blickte zu Peter, der blass geworden war. Außer der etwas blassen Haut – war sie wirklich blasser geworden? – war in seinem Gesicht nichts weiter zu sehen. Vielleicht war er nur etwas müde von der langen Fahrt. Er ging die Stufen rechts hinauf, setzte sich in die vorletzte Reihe und wartete.
Vorn in der ersten Reihe saß W. Seine Glatze glänzte, seine Fliege schillerte in bunten Farben und sein edles Jackett lag knitterfrei um seine Schultern.
Die Tagung wurde wie stets würdevoll eröffnet. Die alten Professoren, fast alle ehemalige SED-Genossen, begrüßten die neue Zeit, die neuen Chancen und sprachen von der Hoffnung auf eine Wissenschaft, die sich freier entwickeln könnte.
Die fachlichen Vorträge eröffnete W. und bevor er zu seinem Thema kam, schlug er einen kurzen Bogen in die Vergangenheit. Er freue sich, so viele alte Freunde und Kollegen wiederzusehen, die er aufgrund der politischen Situation so lange nicht begrüßen konnte. Die Hydrogeologie sei doch das Bindeglied, das systemunabhängig sei und dessen wissenschaftliche Fundamente die Wende der DDR überstehen würden, auch wenn sich die Rahmenbedingungen, unter denen sie anzuwenden sein, ändern werden. In seinem Institut hätte er schon jahrelang Schwermetallbelastungen des Grundwassers untersucht und Umweltfragen thematisiert. Das würde jetzt auch in dem Gebiet möglich sein, dass einmal DDR genannt wurde. Es gäbe so viele Aufgaben, die Wissenschaft benötigen, jungen Wissenschaftlern Arbeit bieten werden. Mit farbigen Computergrafiken und Diagrammen zeigte er seine Forschungsergebnisse vor. Das Klopfen am Ende war laut und ehrlich. Die Fragen danach sehr wissenschaftlich. Ich fragte mich allerdings, welche Gedanken wohl Peter durch den Kopf gegangen seien als er diesen Vortrag hörte.

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